Heimsheim: Rechtlicher “Befugniswildwuchs“ bei privater City-Streife

Datenschutzrheinmain/ November 30, 2022/ alle Beiträge, Beschäftigten- / Sozial- / Verbraucherdaten-Datenschutz, private Sicherheitsdienste/ 5 comments

Der nachfolgende Beitrag wurde der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main von einem Autoren zugesandt, der anonym bleiben möchte. Da es in diesem Beitrag auch um datenschutzrechtliche Fragestellungen bei der Beauftragung privater Sicherheitsfirmen durch öffentliche Stellen (hier: Stadt Heimsheim, Bade-Württemberg) geht, kommen wir der Bitte gerne nach


Wegen der umstrittenen privaten City-Streife in Heimsheim (Baden-Wüttemberg) hat die Initiative Frag den Staat (FdS) die Kommunalverwaltung der Enzkreis-Gemeinde gefragt, warum dem privaten Sicherheitsdienst im Rahmen der städtischen Beauftragung hoheitliche Befugnisse gestattet werden. Zur Beurteilung hatte FdS den Dienstleistungsvertrag zwischen der Stadt Heimsheim und der Sicherheitsfirma DSS Schneider Security angefordert. 

Im Auftrag der Stadt Heimsheim soll die private City-Streife Ordnungswidrigkeiten verfolgen und dafür auch die Personalien der Betroffenen feststellen. Weigern sich die Betroffenen den Angestellten der Sicherheitsfirma den Personalausweis zu zeigen, sollen sie bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden, so das Hauptamt der Stadt Heimsheim. 

Das Festhalten von Personen durch den privaten Sicherheitsdienst aufgrund von Ordnungswidrigkeiten ist nicht durch das Gesetz gedeckt. Diese “Scheinbefugnis“ der Stadt Heimsheim für ihre private City-Streife kann den Straftatbestand der Nötigung erfüllen. Unabhängig davon gilt: “Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische hoheitliche Aufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns.“ 

Am 26.3.2022 berichtete die Leonberger Kreiszeitung erstmals über die Einführung einer kommerziellen City-Streife (“public private security“) in Heimsheim. Die Grundlage dafür war der Beschluss des Gemeinderats am 14.3.2022 (Vorlage Nr. 14/2022, Az: 100.51). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsfirma DSS Schneider Security wurden im Zuge dieser Beschlussvorlage von der Stadtverwaltung Heimsheim ermächtigt im öffentlichen Raum (Stadtgebiet) bei Ordnungsverstößen Personalien aufzunehmen, Platzverweise zu erteilen und Ordnungswidrigkeiten umgehend zu ahnden. Derartige Befugnisse gehen weit über das sogenannte Jedermannsrecht hinaus, denn auch für öffentliche (kommunal) beauftragte Sicherheitsfirmen gilt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste haben im öffentlichen Raum nicht mehr Rechte als andere Bürgerinnen und Bürger.

Der Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik Deutschland sehen hierzulande nicht vor, dass privatwirtschaftliche Firmenangestellte für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sorgen. Auch das deutsche Verwaltungsrecht kennt keine kommerziellen Privaten die systematisch Ordnungswidrigkeiten feststellen und “umgehend ahnden“, weil es sich hierbei um hoheitliche Verwaltungsakte gemäß § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) handelt. 

Selbst wenn die Rechtslage der Stadt Heimsheim nicht bekannt ist oder die Kommunalverwaltung diesbezüglich wider besseres Wissen handelt, wäre es die Aufgabe der Kommunalaufsicht im Regierungspräsidium Karlsruhe einzugreifen, um den “Befugniswildwuchs“ der privaten Citystreife zu beenden – das bleibt aber aus! 

Nachdem Ende März dieses Jahres FdS Einsicht in den Dienstleistungsvertrag zwischen der Stadt Heimsheim und der Sicherheitsfirma DSS Schneider Security (https://fragdenstaat.de/anfrage/vertrag-mit-dss-security/) gefordert hatte, antwortete die Stadt Heimsheim  am 7.11.2022. Zur umstrittenen Personalienfeststellung durch den privaten Sicherheitsdienst teilte das Hauptamt mit:

(…) Die Fa. Schneider Security hat hierbei keine hoheitlichen Befugnisse, sondern ist lediglich berechtigt, ein eventuelles Hausrecht der Gemeinde in öffentlichen Einrichtungen der Stadt Heimsheim gegenüber Dritten durchzusetzen, z.B. durch die Erteilung eines Hausverbotes. Weiterhin dürfen Mitarbeiter der Fa. DSS Schneider Security bei Verstößen von Betroffenen Personalien vor Ort abfragen. Die Herausgabe von Personalien durch die Betroffenen erfolgt freiwillig. Sollten die Personalien nicht freiwillig herausgegeben werden, haben die Mitarbeiter der Firma DSS Security die Befugnis, die Personen bis zum Eintreffen von Polizei oder Mitarbeitern des Ordnungsamtes festzuhalten. (…)“ https://fragdenstaat.de/anfrage/vertrag-mit-dss-security/745919/anhang/anschreiben-informationszugang07-11-2022_geschwaerzt.pdf

Damit hat der Sicherheitsdienst die Möglichkeit, die Hinzuziehung der Polizei als Druckmittel zur “freiwilligen“ Herausgabe der Personalien zu verwenden. Die Polizei darf Personen zur Personalienfeststellung festhalten, weil es dafür spezielle Rechtsgrundlagen wie z.B. die jeweiligen Polizeigesetze der Länder gibt. Da für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter private Sicherheitsdienste derartige Normen nicht vorliegen, kann die Stadt Heimsheim ihren privaten Sicherheitsdienst dazu auch nicht ermächtigen.

§ 127 Abs. 1 Strafprozessordnung (“…vorläufige Festnahme durch Jedermann…“) gilt nur in Verbindung mit Straftaten und bildet gleichzeitig die einzige Befugnisnorm auf die sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste berufen können. Diese gesetzliche Befugnisnorm greift jedoch nicht bei Ordnungswidrigkeiten.

Wie aus der Sitzungsvorlage des Gemeinderats vom 14.3.2022 hervorgeht sollen die Firmenangestellten der privaten Citystreife berechtigt sein, Ordnungswidrigkeiten zu ahnden – eine hoheitliche Aufgabe, die durch mehrere Gerichtsentscheide untersagt wurde: “Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische hoheitliche Aufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns.“ 

Selbst bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs gilt: “(…) Die den kommunalen Polizeibehörden gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden. (…)“ OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 03.01.2020 – 2 Ss-OWi 963/18)

Neben der Frage wie der Datenschutz in Verbindung mit festgestellten bzw. geahndeten Ordnungswidrigkeiten (diesbezüglich werden Sachverhalte und Personaldaten der Bürgerinnen und Bürgern vermutlich auf DSS-Firmenrechnern gespeichert) innerhalb der Sicherheitsfirma DSS Schneider Security gewährleistet und kontrolliert werden soll, wäre es interessant zu erfahren wie Polizei und Datenschutzbeauftragte zur Personalienfeststellung durch die private Citystreife stehen. Weigert sich eine Person wegen eines Ordnungsverstoßes den DSS-Firmenangestellten ihren Personalausweis zu zeigen und wird sie deshalb festgehalten, ist man wegen der fehlenden Befugnisnorm schnell im Bereich der Nötigung § 240 StGB. Unabhängig davon sollte bei Ordnungswidrigkeitenanzeigen durch Angestellte privater Sicherheitsdienste generell überlegt werden, verwaltungsrechtlich Widerspruch einzulegen.

Weitere Informationen zum Thema:

5 Comments

  1. DSS Security Schneider kontrolliert als Citystreife auch in Weil der Stadt. Auch dort werden Personalien der Bürger durch Angestellte der Sicherheitsfirma aufgenommen. Nicht immer geht es dabei um Ordnungswidrigkeiten.

    „(…) Zurück geht es in die Innenstadt zum Carlo-Schmid-Platz. Auf einer der Holzflächen sitzt eine Gruppe Männer mittleren Alters. Musik läuft, in einer Plastiktüte stecken viele Bierdosen und zwischen den Männern steht eine Flasche Hochprozentiges. Rainer Schneider und Martina Goos, die geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft ist und einen schwarzen Gürtel in Selbstverteidigung hat, wie sie erzählt, gehen langsam auf die Gruppe zu und grüßen freundlich. Man kommt ins Gespräch, kennt sich offensichtlich schon. Während Martina Goos die Namen der Männer unterschiedlicher Nationalitäten notiert, appelliert Schneider an die Gruppe, den Müll wieder mitzunehmen. (…)“ (Leonberger Kreiszeitung, 29.9.22)

    https://www.leonberger-kreiszeitung.de/inhalt.weil-der-stadt-citystreife-mahnt-zu-ordnung-und-ruhe.81970277-5e2f-4f2a-a28c-051f430561a0.html

  2. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste haben im öffentlichen Raum nicht mehr Rechte als andere Bürgerinnen und Bürger.“

    Es ist die Pficht der beauftragenden Kommunalverwaltung, der Stadt Heimsheim, ihre Bürger vor „rechtlichen Befugniswildwuchs“ und „Scheinbefugnissen“ dieser privaten Citystreife zu schützen. Doch anstatt die Bürger aufzuklären werden ihnen fragwürdige Rechtskonstrukte aus dem Hauptamt der Stadt Heimsheim präsentiert, welche bereits auf den ersten Blick keiner juristischen Überprüfung standhalten.
    Offensichtlich hat die Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einiger Kommunen im Ländle einen Grad erreicht, welcher schlicht als unseriös und unrechtmäßig bezeichnet werden kann.
    Wie bereits im oberen Konmmentar beschrieben stellen Mitarbeiter der beauftragten Sicherheitsfirma auch ohne vorliegen einer Ordnungswidrigkeit die Personalien von Bürgern fest, als ständig ausgeübte hoheitliche Aufgabe und damit entgegen dem Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz.
    Auch im Artikel beschrieben interessiert sich die Kommunalaufsicht im zuständigen Regierungspräsidium Karlsrue nicht für die Vorgänge im Enzkreis, obwohl es diesbezüglich bereits vor Jahren eine Fachaufsichtsbeschwerde hierzu gab. Versagt diesbezüglich die zuständige Kontrollinstanz im RP Karlsruhe oder schaut diese mittlerweile bewusst weg?

    Nachfolgend ein Pressebericht und ein Fackartikel zu den Befugnissen privater Citystreifen:

    https://rp-online.de/nrw/staedte/xanten/welche-rechte-hat-ein-privater-sicherheitsdienst_aid-35672011

    https://www.grin.com/document/351435

  3. Ganz frisch in der Stuttgarter Zeitung erschienen:

    „Einsatz in Heimsheim und Weil der Stadt/ Citystreifen werfen noch Fragen auf

    Die einen sind zufrieden, von anderen gibt es Kritik: Sicherheitsfirmen sind in Heimsheim und Weil der Stadt im Einsatz. Was aber dürfen sie? (…)“ (Stuttgarter Zeitung, 07.12.22)

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.einsatz-in-heimsheim-und-weil-der-stadt-citystreifen-werfen-noch-fragen-auf.03d5d45c-7b3f-4c4c-a0a4-8ce1954d76fa.html

  4. Ein weiterer Zeitungsartikel ist vor wenigen Tagen zum Thema erschienen. In Weil der Stadt (ebenfalls Enzkreis) stellt die private City-Streife (die gleiche Sicherheitsfirma sellt auch in Heimsheim die private City-Streife) bisher „präventiv“- ohne Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit – die Personalien von Jugendlichen fest:

    „(…) Kritik, vor allem aus den Reihen des städtischen Jugendbeirats, habe es allerdings an der Praxis der City-Streife gegeben, durch eine freiwillige und präventive Ausweiskontrolle bei den auf öffentlichen Plätzen Feiernden eine spätere wilde Müllablagerung verhindern zu wollen. „Diese Praxis müssen wir eventuell künftig ändern“, so Walter. (…)“ (Stuttgarter Zeitung, 5.12.22)

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.weil-der-stadt-die-city-streife-wird-wieder-patrouillieren.6c9d1beb-1e00-4b17-8c37-f251b78bfa67.html

    Anlassunabhängige Personalienfeststellungen (so wie in den Polizeigesetzen der Länder verankert) darf es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste nicht geben!

  5. In Schleswig-Holstein hat die Stadt Neumünster eine private City-Streife als reinen Präsenzdienst beauftragt; Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Sicherheit Nord sollen den Bürgerinnen und Bürgern lediglich ein besseres subjektives Sicherheitsgefühl vermitteln und sich nicht um städtische Ordnungsbelange kümmern.
    Selbst das geht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Landesbezirk Schleswig-Holstein zu weit: Die GdP übt deutliche Kritik in Form einer Pressemitteilung an der privaten Citystreife der Stadt Neumünster.
    Mit Bezug auf die (schleichende) Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung frage mich nun: Wo bleibt der Aufschrei der GdP Baden-Württemberg, wegen dem Befugniswildwuchs privater City-Streifen einiger Enzkreis-Kommunen im Ländle?

    “Ein rechtsstaatlicher Irrweg/ GdP Schleswig-Holstein zur privaten Citystreife in Neumünster

    Kiel/Neumünster. Der Geschäftsführende Landesvorstand der GdP Schleswig-Holstein befasste sich in dieser Woche mit einer befremdenden Idee zur Steigerung der Sicherheit in der Neumünsteraner Innenstadt. Eine Medienberichterstattung zur Sicherheit in der Neumünsteraner Innenstadt machte dies notwendig. (…)“ (Presseerklärung GdP, 14.12.22)

    https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_GdP-Schleswig-Holstein-zur-privaten-Citystreife-in-Neumuenster?open&ccm=000

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