Wiesbaden: Die Gefahrenabwehrverordnung und das Persönlichkeitsrecht – eine Anfrage an die Kandidat*innen zur OB-Neuwahl
Seit dem 01.01.2019 gilt in Teilen der Wiesbadener Innenstadt eine “Gefahrenabwehrverordnung über das Verbot des Führens von Waffen und waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen im Wiesbadener Stadtgebiet“. Die Polizei kann auf dieser Grundlage Menschen, die sich in diesem Gebiet aufhalten, auch ohne Anlass durchsuchen. Die Definition von “Waffen und waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen” in § 3 Abs. 2 der Gefahrenabwehrverordnung erscheint darüber hinaus unbestimmt und ausufernd: “Waffenähnliche gefährliche Gegenstände… sind: a. Messer jeglicher Art, soweit sie nicht bereits dem Waffengesetz unterliegen, b. Schraubendreher, Hämmer und metallene oder scharfkantige oder spitze Gegenstände, welche als Schlag-, Stich- oder Wurfwaffe eingesetzt werden können, c. Knüppel, Holzstiele und Baseballschläger, d. Äxte und Beile, e. Handschuhe mit harten Füllungen.”.
In einem Offenen Brief an den Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) und an die Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung hatte die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main Anfang April 2019 daher um Auskunft zu Fakten und Bewegründen gebeten, die den Magistrat und die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung veranlasst haben, die Gefahrenabwehrverordnung in Kraft zu setzen.
Jetzt hat die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main auch die Kandidat*innen zur OB-Wahl in Wiesbaden gebeten, insbesondere zu zwei Fragen Stellung zu nehmen:
- Wie bewerten Sie die eintretende Rechtsunsicherheit für die Bürger und Besucher Wiesbadens durch die extrem unspezifische Definition des Begriffs „waffenähnlicher Gegenstand“ durch die nahezu beliebige Alltagsgegenstände kriminalisiert werden können? (stabiles Fahrrad-Kettenschloss, Radmutternschlüssel in nahezu jedem PKW, Besteck im Picknick-Korb, Multitool im Wanderrucksack,…)
- Wie wollen Sie Diskriminierung bei der Durchführung der Kontrollen und Bewertung aufgefundener Gegenstände verhindern?
Hintergrund der Fragestellung ist die Tatsache, dass insbesondere anlasslose Personenkontrollen (d. h. Kontrollen, ohne dass vorher „Waffen oder waffenähnliche gefährliche Gegenstände“ gezeigt und eingesetzt wurden) für die davon betroffenen Menschen einen massiven Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht und in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellen.
Update 20.04.2019
Eberhard Seidensticker, OB-Kandidat der CDU, hat am 19.04.2019 wie folgt geantwortet:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre freundliche Nachricht. Gern nehme ich zu Ihren Fragen Stellung, bitte jedoch gleichwohl um Verständnis dafür, dass mir konkrete Zahlen aus der Verwaltung nicht vorliegen. Daher kann ich mich zu Einzelfällen nicht äußern, sondern lediglich generell.
Im Bereich der Innenstadt war es über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder zu Zwischenfällen insbesondere mit Bedrohungen bei denen Messer o.ä. eingesetzt wurden, gekommen. Die Waffenverbotszone soll genau dieser Entwicklung entgegenwirken. Zunächst ist sie in einer Testphase. Anschließend findet eine Evaluation im Hinblick auf Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit statt.
Im Bereich des Datenschutzes sind Hessen bzw. Deutschland stets Vorreiter gewesen. Ein Selbstzweck ist Datenschutz jedoch nicht, er muss praktikabel und sinnhaft sein. Manchmal ergibt sich jedoch ein Spannungsfeld, in dem verschiedene Grundrechte gegenseitig abgewägt werden und im Lichte der Verfassung ausgelegt werden müssen: nämlich konkret das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Insofern bedarf es eines sehr sensiblen Einsatzes durch gut geschultes Personal, welches mit Rücksicht auf die persönlichen Rechte vorgeht. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass eine Kontrolle nicht willkürlich, sondern auf Basis von Verdachtsmomenten geschieht. Das löst das grundlegende Problem der Abwägung zwischen Rechten zwar nicht restlos auf, berücksichtigt die Ansprüche an Persönlichkeitsrechte aber bestmöglich. Dazu gehört ein Vorgehen mit Augenmaß, denn eine Kriminalisierung aufgrund einer Mitnahme von Alltagsgegenständen ist nicht Sinn der Waffenverbotszone.
Mit freundlichen Grüßen
Eberhard Seidensticker“
Update 30.04.2019
Sebastian Rutten, OB-Kandidat der FDP, hat am 24.04.2019 wie folgt geantwortet:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Auf die beiden von Ihnen hervorgehobenen Fragen antworte ich gerne wie folgt:
1. Die FDP und damit auch ich haben die Einführung dieser Waffenverbotszone abgelehnt, insbesondere auch, da die damit einhergehende Rechtsunsicherheit und die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Menschen dem vermeintlichen Erfolg in einer Güterabwägung meiner Meinung nach nicht standhalten. Die Beschreibung der waffenähnlichen Gegenstände ist in der Tat unzureichend und gegenüber dem Bürger nicht ausreichend transparent, was mittlerweile auch zu einer recht speziellen Ausnahmegenehmigung geführt hat, nämlich für Mitglieder von Karnevalsvereinen und Garden, die im Rahmen ihrer Fastnachtstätigkeit „Waffen“ mit sich führen. Demgegenüber müssen Bürger das Mitführen z.B. von Strickzeug nunmehr unterlassen. Da kontrollierende Beamte in der Regel gut erkennbar sind, gehe ich zudem davon aus, dass Bürger, die illegalerweise eine Waffe mit sich führen, diesen bewusst aus dem Weg gehen, sobald sie in Sichtweite geraten. Insoweit halte ich die derzeitigen Erfolgsmeldungen hinsichtlich der Kontrollen für nicht sehr repräsentativ.
2. Diskriminierungfreiheit muss bei Personenkontrollen strikt eingehalten werden, dies gilt für sämtliches Handeln einer Verwaltung. Regelmäßige Dienstbesprechungen, Evaluationen und Schulungen können dies sicherstellen.
Sebastian Rutten
Datenschützer Rhein Main
- Wie bewerten Sie die eintretende Rechtsunsicherheit für die Bürger und Besucher Wiesbadens durch die extrem unspezifische Definition des Begriffs “waffenähnlicher Gegenstand” durch die nahezu beliebige Alltagsgegenstände kriminalisiert werden können? (stabiles Fahrrad-Kettenschloss, Radmutternschlüssel in nahezu jedem PKW, Besteck im Picknick-Korb, Multitool im Wanderrucksack,…)
Dies ist tatsächlich ein entscheidender Punkt der Kritik an der Waffenverbotszone. Es tritt eine Beliebigkeit ein, selbst das täglich im Rucksack mitgeführte Taschenmesser kann plötzlich ernsthafte Konsequenzen für die tragende Person entwickeln. Dies erhöht weder die objektive, noch die subjektive Sicherheit. Zumal gerne vergessen wird, dass bestimmte Messer schon heute verboten sind.
- Wie wollen Sie Diskriminierung bei der Durchführung der Kontrollen und Bewertung aufgefundener Gegenstände verhindern?
Um Diskriminierung entgegenzuwirken braucht es Schulungen und eine besondere Sensibilisierung der Akteure. Die Frage ist jedoch, ob dies wirklich ausreicht, um alle Probleme zu beheben. Es ist davon auszugehen, dass junge Männer häufiger kontrolliert werden, als alte Frauen. Optisch erkennbarer Migrationshintergrund sowie sozialer Status werden ebenfalls Auswirkungen auf die Kontrollwahrscheinlichkeit haben. Die Unschuldsvermutung verkommt somit zum Privileg einiger weniger.