Wiesbaden: Die Gefahrenabwehrverordnung und das Persönlichkeitsrecht – eine Anfrage an den Wiesbadener Oberbürgermeister
Seit dem 01.01.2019 gilt in Teilen der Wiesbadener Innenstadt eine „Gefahrenabwehrverordnung über das Verbot des Führens von Waffen und waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen im Wiesbadener Stadtgebiet“. Die Polizei kann auf dieser Grundlage Menschen, die sich in diesem Gebiet aufhalten, auch ohne Anlass durchsuchen. Die Definition von „Waffen und waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen“ in § 3 Abs. 2 der Gefahrenabwehrverordnung erscheint darüber hinaus unbestimmt und ausufernd: „Waffenähnliche gefährliche Gegenstände… sind: a. Messer jeglicher Art, soweit sie nicht bereits dem Waffengesetz unterliegen, b. Schraubendreher, Hämmer und metallene oder scharfkantige oder spitze Gegenstände, welche als Schlag-, Stich- oder Wurfwaffe eingesetzt werden können, c. Knüppel, Holzstiele und Baseballschläger, d. Äxte und Beile, e. Handschuhe mit harten Füllungen.“ Ausgenommen von diesem Verbot sind z. B. „die Verwendung von Essbesteck im Sinne § 3 Abs. 2 Buchstabe a. im Rahmen eines gastronomischen Betriebes…“ (§ 4 Abs. 2 der Gefahrenabwehrverordnung).
Aus Sicht der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main stellen anlasslose Personenkontrollen (d. h. Kontrollen, ohne dass vorher „Waffen oder waffenähnliche gefährliche Gegenstände“ gezeigt und eingesetzt wurden) für die davon betroffenen Menschen einen massiven Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht und in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. In einem Offenen Brief an den Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) und an die Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung bittet die Gruppe daher um Auskunft zu Fakten und Bewegründen, die den Magistrat und die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung veranlasst haben, die Gefahrenabwehrverordnung in Kraft zu setzen.
Hier ein Auszug aus dem Fragenkatalog:
- Wie viele Vorfälle mit „Waffen oder waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen“ wurden der Landespolizei bzw. den Ordnungskräften der Stadt Wiesbaden in dem gem. „Anlage 3“ abgegrenzten Gebiet in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 bekannt?
- Wie viele dieser Vorfälle mit „Waffen oder waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen“ in dem gem. „Anlage 3“ abgegrenzten Gebiet mündeten in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 in einem polizeilichen Ermittlungs- oder einem gerichtlichen Verfahren?
- Wie werden Gegenstände der sogenannten „passiven Bewaffnung“ (z. B. Pfefferspray oder Tränengas) bewertet?
- Wie viele Kontrollen Überprüfung der Einhaltung der Regelungen der Gefahrenabwehrverordnung wurden von der Landespolizei bzw. den Ordnungskräften der Stadt Wiesbaden seit Inkrafttreten der Verordnung durchgeführt? Wie viele Personen wurden dabei insgesamt überprüft? Wie viele „Waffen oder waffenähnliche gefährliche Gegenstände“ wurden dabei festgestellt? In wie vielen Fällen wurde Strafanzeige gegen die Personen gestellt, die „Waffen oder waffenähnliche gefährliche Gegenstände“ mit sich führten?
- Welche Lücken in bestehenden Eingriffsnormen des Bundes und des Landes Hessen glauben Sie durch diese Verordnung zu schließen?
- Welche Maßnahmen dienen der objektiven Gefahrenlage und welche dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger? Das Verbote welcher Waffe bzw. welcher waffenähnlichen gefährlichen Gegenstände dient dem einen bzw. dem anderen Zweck?
- Wie bewerten Sie die eintretende Rechtsunsicherheit für die Bürger und Besucher Wiesbadens durch die extrem unspezifische Definition des Begriffs „waffenähnlicher Gegenstand“ durch die nahezu beliebige Alltagsgegenstände kriminalisiert werden können? (stabiles Fahrrad-Kettenschloss, Radmutternschlüssel in nahezu jedem PKW, Besteck im Picknick-Korb, Multitool im Wanderrucksack,…)
- Wie wollen Sie Diskriminierung bei der Durchführung der Kontrollen und Bewertung aufgefundener Gegenstände verhindern?
Bleibt noch zu bemerken: Ruft man auf der Homepage der Stadt Wiesbaden das Stichwort „Gefahrenabwehr„ auf, ist dort auch noch am 04.04.2019
- nur die allgemeine Gefahrenabwehrverordnung von 2002 in der Fassung des Jahres 2013 hinterlegt,
- nicht aber die am 01.01.2019 in Kraft getretene „Gefahrenabwehrverordnung über das Verbot des Führens von Waffen und waffenähnlichen gefährlichen Gegenständen im Wiesbadener Stadtgebiet“ .
Letztere findet man nur nach mühsamer Suche und in der Entwurfsfassung im Politischen Informationssystem Wiesbaden (PIWi). Kein Zeichen für eine bürgernahe und transparente Informationspolitik!