Deja-vú? CDU und Grüne machen sich stark für Überwachung und planen erneut die „präventive Videoüberwachung“ des „Gefahrenschwerpunktes“ Luisenplatz in Darmstadt

R/ Juli 4, 2019/ alle Beiträge, Hessischer Datenschutz, Videoüberwachung/ 0Kommentare

Geneinsame Pressemitteilung des Chaos Computer Club Darmstadt, der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main und des Bündnisses Demokratie statt Überwachung

Nächster Anlauf für die Totalüberwachung des Luisenplatzes: Die Stadtverordnetenversammlung hat erneut eine „präventive Videoüberwachung“ des Luisenplatzes beschlossen und begründet dies mit der neu geschaffenen Rechtsgrundlage im Hessischen Polizeigesetz. Ein entsprechender Magistrats-Beschluss wurde in der Stadtverordnetenversammlung mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, AfD und FDP angenommen. Gegen den Beschluss stimmten die Fraktionen von SPD, UFFBASSE, Die Linke, UWIGA sowie die Stadtverordnete Stricker (Piratenpartei). [1]

Das Thema ist nicht neu: Bereits Ende 2016 hatten wir gegen die Veranschlagung von 50.000 Euro im Haushalt der Stadt Darmstadt für die geplante Überwachung des Luisenplatzes demonstriert. [2]

Der Magistrat argumentiert nun zur Geeignetheit der Maßnahme, Personen mit der Absicht eine entsprechende Straftat zu begehen, würden durch die Existenz einer Videoüberwachungsanlage naturgemäß davon abgehalten, diese Straftaten tatsächlich zu begehen. Ob diese präventive Wirkung tatsächlich gegeben ist, ist äußerst umstritten. „Ein Abschreckungseffekt durch Polizeibeamte vor Ort wäre jedenfalls sicherlich höher als durch Videoüberwachung. Am Luisenplatz hängen ohnehin bereits Kameras der Verkehrsbetriebe, die offenbar absolut nicht abschrecken“, kommentiert Marco Holz vom Chaos Computer Club Darmstadt.

Die Notwendigkeit der Videoüberwachung trotz der Existenz der neuen Stadtwache der Kommunal-polizei direkt am Luisenplatz konstruiert die Stadt über die Behauptung, Videokameras an erhöhten Positionen würden einen deutlich besseren Überblick schaffen als Einsatzkräfte vor Ort.

Eine kurzfristige Intervention beim Erkennen von entstehenden Gefahrenlagen ist allerdings nur bei ständiger Live-Sichtung des Videomaterials möglich. „Aufgrund der nachlassenden Aufmerksamkeits-spanne beim Sichten der Bilder fordert dies mehr als eine Person. Ob so wirklich an Personal gespart werden kann und ob durch diese Maßnahme die Sicherheit auf dem Luisenplatz erhöht werden kann, ist fraglich“, führt Roman Peters von dieDatenschützer Rhein Main aus.

Eine Vielzahl an Videokameras, insbesondere an häufig frequentierten Orten, ermöglicht weitgehende und automatisierte Überwachungsmöglichkeiten einzelner Bürger*innen und trägt nicht zu einer tatsächlichen Steigerung der Sicherheit bei. „Die Erstellung von Bewegungsprofilen auf Basis von Videomaterial verschiedener Orte ist mit heutigen technischen Möglichkeiten umsetzbar und gefährlich“, erläutert Ian Bierlich vom CCC Darmstadt.

Dass es bei der Maßnahme tatsächlich um die Erhöhung der Sicherheit auf dem Luisenplatz geht, scheint Zweifelhaft. Vielmehr geht es um ein Gefühl von Sicherheit. Polizeipräsident Lammel erklärt gegenüber Echo Online: „Die gefühlte Sicherheit der Menschen steht leider oft in keinem Verhältnis zu den objektiven Zahlen“ und spricht von „Angsträumen“. Der Magistratsvorlage zufolge stärke eine Videoüberwachung das „subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“. Für mehr „gefühlte Sicherheit“ werden die Videokameras allerdings nicht sorgen. Vielmehr suggeriert eine Kamera: Wo Videoüberwachung nötig ist, muss Kriminalität hoch sein. Das verunsichert Menschen, statt ihnen Sicherheit zu vermitteln.

Die Stadt selbst trägt mit dem Beschluss jedenfalls nicht dazu bei, das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen: Sie benennt den Luisenplatz in der Vorlage des Magistrats als „bevorzugtes Anschlagsziel von Terroristen“. Der Verein Digitalcourage kommentiert dazu auf Twitter [3]: „Darmstadt […] halluziniert eine Terrorgefahr herbei, um Videoüberwachung auf einem öffentlichen Platz zu rechtfertigen.“

Begründet wird die rechtliche Legitimation des Beschlusses mit der im Juni 2018 in Kraft getretenen Änderung des Hessischen Polizeigesetzes (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, HSOG). Dort wurde für die Polizei- und Gefahrenabwehrbehörden eine neue Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze bei „drohender Gefahr“ geschaffen. Gegen die Reform des Polizeigesetzes und des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes richten sich auch die Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Kooperation mit der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main und dem Forum Informatiker_innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung [4] sowie die parallele Verfassungsbeschwerde der Piratenpartei Hessen [5].

Die Kosten der geplanten Videoüberwachung des Luisenplatz „lassen sich derzeit nur schätzen“. Man rechne mit ca. 150.000 EUR, wovon 2/3 über eine Förderung vom Land und 1/3 von der Stadt selbst finanziert werden würden.

Der Chaos Computer Club Darmstadt, die Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main und das Bündnis Demokratie statt Überwachung fordern Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP auf, die Pläne zur Einführung einer „präventiven Videoüberwachung“ ein für alle Mal einzustampfen. Der vermeintlichen Erhöhung der Sicherheit stehen tiefe Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte tausender Darmstädter Einwohner*innen entgegen.

[1] https://darmstadt.more-rubin1.de/beschluesse_details.php?vid=20191104100133&nid=2019-Stavo-138&status=1&x=7&y=8
[2] https://www.chaos-darmstadt.de/2017/pressemitteilung-videoüberwachung.html
[3] https://twitter.com/digitalcourage/status/1140918140093775872
[4] https://freiheitsrechte.org/pm-vb-hessen/
[5] https://www.piratenpartei-hessen.de/blog/2019/06/27/piraten-reichen-verfassungsbeschwerde-gegen-hessentrojaner-ein/

[die Pressemitteilung zum Download als pdf]

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